Bewegung ist Leben

Die Erwerbung der Mentalität

19.05.2015 10:39

Die Erwerbung der Mentalität

Die Herausbildung der Mentalität

Die Mentalität wird als vorherrschende psychische Prädisposition gesehen, die sich auf die Denkweise und das Verhalten einer Person und/oder einer Gruppe von Menschen ethnischer bzw. beruflicher Angehörigkeit bezieht. Auf die Mentalität des aufwachsenden Kindes übt einen wesentlichen Einfluss das Elternhaus, die Kirche, die umgebende soziale und natürliche Umwelt. Da diese Grundsätze in den Ländern verschiedener Regionen sich stark bzw. mehr oder weniger voneinander unterscheiden, so entwickelt sich auch die anfängliche Kindermentalität verschiedener Länder und Regionen schon in der vorschulischen Zeit unterschiedlich. Dieser anfängliche Erwerb der Mentalität lässt sich noch bei den erwachsenen Personen erkennen.

Die Mentalität des im Ausland geborenen Kind einer emigrierten Familie gestaltet sich anders, als die Mentalität des im Herkunftsland wohnenden Kind. Das im Ausland lebende Kind erhält die ersten Kenntnisse im Elternhaus, wo die Lebenserfahrungen und Verhältnisse in der Familie in der Muttersprache erfolgen. Wie nun das Kind größer wird, kommt es in Kontakt mit den Kindern des Gebiets, wo in der Bewohnerschaft eine andere Sprache gesprochen wird. Diese Sprache ist auch Unterrichtssprache in der Schule. Das Kind spielt die im Land üblichen Spiele, es erkennt die hiesige Musik, erlernt die in diesem Land gesungenen Lieder und Schlager. Das Kind erwirbt die Gewohnheiten der Menschen, eignet sich das Verhältnis zur Schule, zur Arbeit sowie zu den älteren Menschen an. Wie alle stellt auch es sich mit Achtung zu der umgebenden Natur und Landschaft. Auf diesem Grunde entwickelt sich beim eingewanderten Kind die Mentalität, die ortsbedingt ist.

 Ein solches Kind bin ich gewesen. Mein Vater ließ sich von den Mines Dominiales de Potasse d‘Alsace (Kalisalzbergwerke von Elsass) für Grubenarbeiten bewerben, wonach er 1926 mit der Familie aus dem tschechoslowakischen Subkarpatien nach Frankreich auswanderte. Dort im oberelsässischen Wittenheim bin ich 1930 geboren. Unter den Grubenarbeitern gab es viele polnischen, italienischen u. a. Herkunft 3-4-Kinder-Familien, zu denen auch die meine gehörte; ich hatte zwei ältere Brüder. Zuhause wurde russinisch gesprochen, welches meine Erstsprache wurde. Mit drei Jahren besuchte ich die Petite École (Kindergarten), wo neben Französisch die Kinder auch elsässisch sprachen. In der Schule, wo Französisch unterrichtet wurde, lernten klassenmäßig beisammen alle Kinder. Nach nazistischer Annexion des Elsass wurde von 1940 bis 1944 die Unterrichtssprache Deutsch. Jedoch nicht nur die Sprache, sondern auch die erzieherische Richtung hat sich völlig umorientiert: von einer kriegsbedrohten Menschenfreundlichkeit zu einer weitaus verhassten Naziallmacht. Nach dem Krieg studierte ich in der École de dessin (Zeichnerschule) von Mulhouse. Die im Elsass erworbenen Gewohnheiten, meine guten Beziehungen zu den Freunden und Bekannten, zu den Älteren Menschen sowie zur Natur haben meine Mentalität geprägt. Eine tiefe Verachtung zu den diktatorischen Machthabern ließen hinter sich die Jahre der Naziherrschaft im Elsass. Wegen Abwesenheit von jeglichen Kontakten mit den in Subkarpatien lebenden Verwandten blieb gei mir das Verhältnis zu ihnen zwar wohlgesinnt aber sonst unbestimmt und neutral.

Meine in der Heimat lebenden verwandten Kinder hatten ständige Kontakte nicht nur mit den Eltern, sondern auch mit den Großeltern, mit den Tanten und Onkeln, mit den Cousins und Cousinen. Sie verkehrten mit den Verwandten und Bekannten das gemeinsame Sprachidiom der Bewohnerschaft. Sie lernten in der Schule die normative Sprache. Mit den Kindern spielten sie die im Lande üblichen Spiele, die Feiertage und Festlichkeiten wurden traditionsgemäß gehalten. Die Kleidung der Kinder ist auch allgemein. Die Garten- und die Feldarbeiten sowie die Hausarbeiten verliefen nach Landestradition. Die Kinder erlernten und sangen die Volkslieder und die neuen Schlager. Im heimatlichen Umland und Umgang sowie in der sozialen Umsicht entwickelt sich dementsprechend die Mentalität der Kinder.

Wenn nun der Junge schon als Heimkehrer in das Herkunftsland zurückkehrt, macht er Bekanntschaft mit den bisher nicht gesehenen Verwandten. Er erwirbt auch neue Bekannte und Freunde, er kommt in Kontakt mit den Behörden und Angestellten. Als Heimkehrer ergeben sich bei ihm viele Striche, die von den Gewohnheiten der übrigen Jugend und Erwachsenen anders sind. Da er manches anders macht, anders sieht und versteht, nennen ihn die Mitbewohner „Fremdländer“ (der Franzose). Er singt die üblichen Lieder nicht mit (er kennt eben ihre Worte nicht). Anders bezieht er sich zur Natur, gelassener stellt er sich zum Glauben. Die politische Lage im Land ist anders, als die des Landes, wo er groß gewachsen ist. Er sieht anders die soziale Umwelt und stellt sich kritisch zur Regierung und zur politischen Lage im Land. Wenn er darüber spricht, hören die Angesprochenen mit Befürchtung zu, und sehen sich um, ob ein unerwünschtes Ohr lausche. Die Behörden stellen sich zum Heimkehrer ohne Zuversicht, denn verdächtig ist seine eigenwillige Mentalität.

Gregor Melika

Miskolc, den 10. Dezember 2015.

 

 

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