Die Dichotomien der Kommunikation
21.10.2015 10:00
Die Dichotomien der verbalen Kommunikation
Die Dichotomie als zweiteilige Einheitlichkeit von Strukturen unseres Daseins ist an und für sich überall anwesend. Dichotomische Strukturen sind auch in der verbalen Kommunikation verbreitet. Zu ihnen gehören:
1. Die Dichotomie der Außenwelt und Innenwelt. Diese Dichotomieart ist wie beim Menschen so auch in der tierischen Welt verbreitet. Beim Menschen tritt der ursprüngliche vorverbale Zustand als dichotomische Gegenüberstellung a) der externen Welt, zu der alles gehört, was die Person dank den Sinnesorganen in Zeit und im Raum wahrnimmt (die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, ihre Eigenschaften, die Handlungen und Zustände, die wechselseitigen Beziehungen der Dinge und Sachen usw.); b) der internen Welt, zu der die Widerspiegelung der perzipierten Außenwelt gehört und im Gedächtnis der Person gelagert ist.
2. Die Dichotomie des Individuellen (des Persönlichen) und des Gemeinschaftlichen (des Sozialen). Die verbale Kommunikation kann nur zustande kommen, wenn zumindest zwei Personen einer Gemeinschaft miteinander sprachlich verkehren. Dementsprechend entsteht bei der Kommunikation die dichotomische Gegenüberstellung eines Individuums (der Ich-Person) den anderen (den Nicht-Ich-Personen) der Gemeinschaft gegenüber.
3. Die Dichotomie der körperlichen Gestalt und des Gedächtnisses der Person. Die Gestalt mitsamt dem Gehirn vertritt den einen Strukturteil der Person. Das Gedächtnis, das sich im Gehirn der Person befindet, bildet den anderen dichotomischen Strukturteil. Die Person wird als solche nur dann betrachtet, wenn beide dichotomischen Strukturteile inne sind. So wird bei der Bestattung eines Verstorbenen von Person in vergangenen Zeitformen (war, ist gewesen) gesprochen.
4. Die Dichotomie von Psycholekt1 und Soziolekt. Durch Psycholekt wird die Ich-Person bezeichnet (siehe Georg-Gregor Melika: Psychosoziale Relationen der verbalen Kommunikation. Miskolc 2011, Selbstverlag, 100 S. (siehe https://wissen-und-konnen.com/ ). Dem Psycholekt entgegen steht der Soziolekt, der im Dialog eine beliebige Nicht-Ich–Person vorstellt. Die Dichotomie von Psycholekt und Soziolekt ist in der verbalen Kommunikation beständig. Diese Dichotomie bedingt die verbale Dichotomie von Langue als indefinites Sprachsystem und Parole als finite Sprachform bei der verbalen Vermittlung von Informationen.
5. Die Dichotomie des Verbalen (das Nennende) und Non-verbalen (das Genannte) in der Mittelung. Um Gegenstand einer Mitteilung zu werden, muss die dinglich-sachliche externe Welt in der internen Welt sprachlich ausgedrückt werden. Diese Wandlung geschieht durch die Nomination der perzipierten Abbilder von externen Phänomenen mit Sprachzeichen. So wird deutsch das Abbild #(non-verbal) mit dem Wort Schere (verbal) nominiert (englisch – scissors, französisch – ciseaux, russisch - ножницы, ungarisch – olló,). Dadurch kommt zustande in der internen Welt der Person die Dichotomie von Nominaten und Nominanten.
6. Die Dichotomie des Signifikats und Signifikants überbrückt die Grenzzone zwischen den non-verbalen Abbildern der externen Phänomene und den internen verbalen Bezeichnungen. Diese Dichotomie (auch unter signifié et signifiant bekannt) vereint das bildliche Denken mit dem sprachlichen Überlegen. Im Gedächtnis der Person besagt das Abbild # das Signifikat), dass es ein Instrument ist, mit dem bestimmte Stoffe geschnitten werden können; das Zeichen Schere (der Signifikant) besagt der Person, wie das Funktionieren der Schere verbal ausgedrückt werden kann.
7. Die Dichotomie von Kognition und Konnotation gehört zu der internen Welt der Person. Sie bezieht sich auf eine doppelte Schätzung des wahrgenommenen kognitiven Raums der dinglich sachlichen Realität. Es können zwar beim Psycholekt zugleich Reflexe kognitiven und konnotativen Inhalts erscheinen. Das Abbild * (Briefumschlag mit Adressen) kann beim Psycholekt je nach dem Expeditor zweierlei Reaktionen hervorrufen: Zum einen ist kognitiv, dass der ersehnte (unerwartete Brief) eingegangen ist, zum Zweiten ist konnotativ, dass der Brief positive (gleichgültige bzw. negative) Emotionen verursachen kann. Entsprechend kann das Wort Brief ebenfalls kognitive bzw. konnotative Reflexe hervorrufen. In einem sprachlich vermittelten Bericht über den Eingang des erwarteten (unerwarteten, ersehnten) Briefs, erweckt das Wort Brief zugleich kognitive und konnotative Relationen: Kognitiv sind selbst der Bericht und sein Inhalt; konnotativ verschieden je nach der Textform und dem Ton des Berichts die emotive Reaktion der Person sein.
Die Dichotomie der psycholingualen und soziolingualen Konfrontation ergibt bei der Kommunikation der Gesprächspartner unterschiedlichen Inhalt ihrer Aussagen, wenn auch sie sich der gleichen Sprache bedienen: Der identische Inhalt der Aussage bei den Gesprächspartnern ist eher Ausnahme als Regel. Diese Besonderheit beruht auf die Vielfältigkeit des Nominaten (des Genannten) in Bezug auf den Nominanten (das Nennende): das Wort Tisch kann verschiedene Arten von Tischen bezeichnen (Werktisch, Schreibtisch, Küchentisch usw.) sowie seine Qualitäten (aus Holz, aus Eisen, aus Plaste; neu, alt, einfach, verziert, weiß, braun, teuer, billig usw.): von welch für einen Tisch meint der Psycholekt und welch für einen Tisch sieht der Soziolekt, bildet die Diskrepanz der Meinungsdifferenz.
Außer den höher angeführten Dichotomien gibt es in der Struktur der verbalen Kommunikation Dichotomien im Rahmen des Soziolingualen und im Rahmen des Psycholinguale engeren Ausmaßes, die kognitiv vom Kanal der Agenzien und konnotativ vom Kanal der Stimuli ausgehen. Diese Strukturen werden in meinem Buch: Psychosoziale Relationen der verbalen Kommunikation eingehend beschrieben.
Prof. Dr. Georg-Gregor Melika
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